Habt ihr schon mal ein Kind auf die Welt gebracht? Und das in der Schweiz? Falls ihr keine Schweizer seid könnte es unter Umständen etwas kompliziert werden. Zumindest bei der Ausstellung der Geburtsurkunde und den damit zusammenhängenden bürokratischen Hürden.
Aufnahme in das Personenstandsregister
Alles beginnt damit, den Sprössling in die „Herrschaft der Verwaltung“ – den Lebensraum von zahllosen Formularen und Dokumenten – aufzunehmen. Und das Tor in diese schöne neue Welt ist eine Geburtsurkunde. Sie ist das Fundament des Daseins und Grundlage für alles was auf den neuen kleinen Menschen in der Behördenwelt zukommt. Im Übrigen wie wir feststellen mussten nicht nur für die kleinen, sondern auch für uns große, inzwischen über 30 Jahre alte Menschen ist eine aktuelle Geburtsurkunde die Basis und Voraussetzung für das behördlich korrekte Existieren. Aber eins nach dem anderen.
Das Zivilgesetzbuch der Schweiz schreibt vor, dass Geburtsurkunden für Neugeborene erst dann ausgestellt werden dürfen, wenn die Personalien der Eltern erfasst worden sind. Dieses System, in dem die Personendaten verarbeitet werden, nennt sich das eidgenössische Personenstandsregister. So weit so gut. Um nun die Eltern, in dem Fall meine Frau und mich, in diesem System aufzunehmen werden alle möglichen Dokumente im Original benötigt. Das sind z.B. die Eheurkunde, Personalausweis, Ausländerausweis usw. Aber vor allem eine aktuelle Geburtsurkunde. Ich persönlich staunte nicht schlecht als ich es las. Warum braucht man eine aktuelle Geburtsurkunde? Was ist an der, die bei meiner Geburt ausgestellt wurde, auszusetzen? Ich habe sie nie verloren und habe sie gehütet wie meinen Augenapfel. Sie ist Pfeiler all meiner bis dato ausgestellten Dokumente. Aber scheinbar wird die Richtigkeit dieser Dokumente von den schweizerischen Behörden nun angezweifelt und muss unbedingt durch eine frische Geburtsurkunde belegt werden. Ich glaube am besten gebäre ich mich nochmals. Und wo wir nun bei dem gebären sind, ich hatte das Glück oder vielleicht auch das Pech in der UdSSR auf die Welt zu kommen, genauer in der Jakutischen ASSR, im heutigen Russland. In Deutschland wurde dann alles standesgemäß übersetzt und beglaubigt. Und für die deutschen Behörden war das auch ein ausreichender Beweis meiner Existenz und eine der wichtigen Grundlagen für alle weiteren Dokumente.
Nicht so in der Schweiz. Um also ein Teil dieses Personenstandsregisters zu werden muss ich in meinem Geburtsland, also Russland eine aktuelle Geburtsurkunde mit einer sogenannten Apostille beantragen. Eine Apostille ist dabei eine „Beglaubigungsform im internationalen Urkundenverkehr“, sie wird auch Überbeglaubigung genannt. Ein richtig schönes Beamtenwort wie ich finde. An sich kein schlechtes Konstrukt, schließlich wird damit keine weitere Beglaubigung eines ausländischen Dokuments benötigt – sozusagen eine Brücke zwischen den bürokratischen Welten verschiedener Staaten.
Die Apostille garantiert, dass das Dokument im Bestimmungsland ohne weitere Beglaubigung durch die diplomatische oder konsularischen Vertretung akzeptiert wird. Apostillen sind nur in den Ländern gültig, die dem Haager Übereinkommen vom 5. Oktober 1961 beigetreten sind.
Für alle anderen Länder gilt, dass die Überbeglaubigung (ohne Apostille) der Staatskanzlei durch das entsprechende Konsulat oder die Botschaft noch einmal beglaubigt werden muss.
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Aktuelle Geburtsurkunde mit Apostille
Warum wird überhaupt eine aktuelle Geburtsurkunde benötigt? Schließlich wird auf der neuen ja nichts anderes stehen als auf der alten. Zumindest gehe ich davon aus. Oder bin ich doch wann anders geboren? Den Grund für eine aktuelle Geburtsurkunde konnte mir jedenfalls bisher niemand so richtig erklären.
Aber gut, so sind die Spielregeln. Um meinem Kind die Daseinsberechtigung in der Beamtenwelt zu gewährleisten muss ich unbedingt in dieses Register und der Weg dahin führt nur über eine aktuelle Geburtsurkunde mit Apostille. Meine alte, grüne, jakutische Urkunde will kein Beamter im Zivilstandsamt sehen.
Was also tun? Im Grunde ist es recht einfach: Buche ein Termin bei der russischen Botschaft, fülle alle möglichen Formulare aus, in russischer Sprache versteht sich, bezahle und warte. Aber wie so oft fängt es bereits bei der Terminsuche an. Einen Termin zu ergattern ist nämlich nicht so einfach. Zum einen gibt es scheinbar generell sehr viele Anfragen, dass es kaum freie Termine gibt, und zum anderen reduzieren die aktuellen „Corona-Auflagen“ die Anzahl der möglichen Termine auf ein Minimum. Aber easy, man setzt sich auf eine Warteliste und schaut jeden Morgen in dem Kalender der Botschaft nach ob es freie Termine gibt. Für die nächsten Wochen wurde es also zu einem Ritual, jeden Tag als Erstes die Warteliste der Botschaft aufrufen und mit Bedauern feststellen, dass es keine freien Termine gibt. Aber morgen ist ja ein neuer Tag.
Und eines Tages war es tatsächlich soweit, da war ein freier Slot, in 6 Wochen zwar, aber ich konnte einen Termin buchen! Jetzt schnell die Formulare ausfüllen, notwendige Dokumente kopieren, alle Eventualitäten abwägen, alles in einem Mäppchen bereitlegen und fleißig die Kalenderblättchen abreißen.
Russische Botschaft
Da war also der Tag gekommen, auf nach Bern zur russischen Botschaft. Um 9 Uhr hatte ich den Termin. Vorbildlich wie man ist kommt man etwa 15 Minuten früher dahin und wird auch prompt von einem freundlichen Security-Mitarbeiter in den vorgesehenen Raum begleitet. Dort heißt es dann warten, „ein Beamter der Botschaft wird sich bei Ihnen melden“. Man kommt in einen stickigen Raum, mit einem Tisch und zwei Stühlen. Links sind große bodentiefe Fenster mit verstaubten durchsichtigen Vorhängen, rechts eine Theke mit einem dickem Trennglas, hinter dem offenbar die Beamten sitzen sollen. Man sieht aber niemanden, nur ab und zu huscht eine junge Dame vorbei, die offensichtlich viel zu beschäftigt ist um dich nur eines Blickes zu würdigen. Um 9:30 wird die nächste Botschaft-Besucherin in den Raum manövriert, bis jetzt hat sich hinter dem Panzerglas niemand blicken lassen. An dieser Stelle möchte ich von den nächsten Stunden in der Botschaft nicht weiter berichten, nur eins, beim nächsten Mal nehme ich Essen mit.
Und jetzt?
Die Tortur der russischen Botschaft ist vorbei. Die Anträge sind gestellt. Jetzt heißt es warten. Warten auf die Geburtsurkunde, mit Apostille versteht sich. Wann es kommt, wissen wir nicht. Wenn ich alles richtig ausgefüllt habe, kann es bis zu 6 Monate dauern heißt es. Wenn ich so an meinen Botschaft-Tag denke finde ich 6 Monate stark untertrieben. Aber in der Welt der Bürokratie ist Zeit subjektiv. Für uns ist sie knapp und bindend, für sie unverfänglich – ein Gut, das unbegrenzt zur Verfügung steht. Papier ist bekanntlich geduldig – in diesem Zusammenhang bekommt es eine andere Bedeutung.
In dieser Zeit bleibt unser Kind also ohne Geburtsurkunde. Ist es schlimm? Im Grunde nein. Wir können zur Zeit keinen Ausweis beantragen, bei der Krankenkasse und unseren Arbeitgebern müssen wir erklären warum es keine Geburtsurkunde gibt. Ohne Ausweis dürfen wir theoretisch nicht aus der Schweiz ausreisen, den Spaß einer möglichen Grenzkontrolle möchte ich mir ehrlich gesagt ersparen. Welche weiteren Konsequenzen es für uns hat wissen wir aktuell auch nicht. Wer weiß was die Behörden für uns so bereithalten. Vielleicht gibt es ja ein Strafe für die Eltern, wenn das Kind nicht rechtzeitig registriert wird, wie es in der UNO-Kinderrechtskonvention verlangt wird.
Und warum das alles? Weil die Geburtsurkunde, die ich habe, nicht aktuell genug ist. Entschuldigt dass ich nun auf die 40 zugehe und meine Geburtsurkunde nicht aktuell halte. Ich kann verstehen, dass Gesetze eine Aufnahme in dem Personenstandsregister regeln und dass sie gegen einen möglichen Missbrauch schützen sollen. Aber wenn man originale Papiere besitzt und diese seit Jahren überall akzeptiert wurden, ist es für mich nicht verständlich warum in diesem Fall ihre Gültigkeit angezweifelt wird. Es scheint wie ein bürokratischer Grundsatz, der mit einem „so ist nun mal das eidgenössische Gesetz“ einfach abgewunken wird und dem Beamten am Ende die Hände gebunden sind. Und es kostet nicht einfach nur unnötig Zeit und Geld – Apostillen, frische Geburtsurkunden, Übersetzungen sind nicht umsonst – sondern auch Nerven.
Für mich klingt das alles nach einer Daseinsbegründung für die Bürokratie nur der Bürokratie wegen.